Die Clowns der Snowshow sind aufmüpfig und eigensinnig. Sie können liebenswert sentimental werden und dann wieder auf eine kindliche Weise übermütig. Sie können einen ebenso flink vor den Kopf stoßen wie gleich darauf ins Herz schließen.
Diese Clowns sind anders. Sie sind unberechenbar. Sie sind einem Samuel Beckett näher als einer Zirkusmanege, sind mehr Shakespeare denn Slapstick. Verlorene Seelen, die versuchen, das Leben zu meistern auf stürmischer See oder im tobenden Schneesturm. Ein wunderbares Spektakel.
„Slava’s Snowshow“ ist wieder in Berlin. Diese weltweit gefeierte Inszenierung des russischen Gefühlsmagiers Slava Polunin, die erwachsene Menschen in gerade mal 90 Minuten wieder zum Kind werden lässt. Man muss sich nur einlassen auf diese imaginäre, verwunschene Welt, in der Glück und Leid, Lachen und Weinen, Drama und Komödie untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Clowns haben das Sagen
Noch bevor die Vorstellung beginnt, faucht und keucht eine imaginäre Lokomotive durch den ausverkauften Admiralspalast und entführt in ein Reich, in dem die Langsamkeit regiert. Und in dem die Clowns das Sagen haben. Zu elektronischen Vangelis-Klängen schlurft der 62-jährige Slava Polunin als erster durch das eingenebelte Rampenlicht über den Bahnsteig. Im knallgelben, weiten Overall, mit blutroten Plüschpuschen, strubbelig grauem Haar, weißem Bart und dicker Clownsnase wirkt er wie ein weiser Prediger des Lächelns. Er trippelt traurig, einsam und endgültig über das Areal. Er legt sich eine Schlinge um den Hals. Und stellt auf einmal fest, dass am anderen Ende des Stricks sein zitronengelbes Ebenbild ebenfalls in einer Schlinge steckt. Gemeinsam finden sie den Weg zurück ins Leben. Und treffen auf eine Horde herrlich verwahrloster Clowns im Einheitslook mit langem grünen Mantel, noch längeren Schuhen und Hüten mit Krempen wie Tragflächen. Drei von ihnen singen mit Concertina und Schmetterlingsnetz gewappnet das Lied vom „Blue Canary“, während die anderen Grünröcke Bossa Nova tanzen. Sie werfen mit Papierschnee aus Säcken und Eimern um sich, verpacken das Publikum bis in die letzte Reihe in gigantische Spinnweben oder lassen es im Saal regnen. Die Besucher werden in dieser Show keineswegs verschont.
Fantasiewelt zwischen Lebenslust und Düsternis
Die minimalistische Kunst des Clownspantomimen paart sich hier mit raffinierten Showeffekten, begleitet von durchdacht und lautstark eingesetzter Musik von John Surman über Yello bis Carl Orff. Hier werden in einer wundersamen Fantasiewelt zwischen Lebenslust und Düsternis Geschichten ohne Worte erzählt, von Abschied, von Sehnsucht, von Hoffnung. Und schnell haben Slava und seine Mannschaft das Publikum auf ihrer Seite. Der Faszination dieses Ensembles kann man sich nicht entziehen. Es gibt Menschen, die halten Wjatscheslaw Iwanowitsch Polunin, den alle nur Slava nennen, für den größten Clown der Welt. Er hat sich seit frühester Jugend im verschneiten sowjetischen Nowosil geschult an Charlie Chaplin und Buster Keaton, ging mit 17 nach Leningrad, studierte Pantomime und Slapstick, Stanislavski und Artaud, Commedia dell’arte und Avantgarde.
Die heilende Kraft des Lachens
Slava Polunin erinnert die Menschen wieder an die heilende Kraft des Lachens. Er gründete das Clownstheater Licedej, mit dem er schon vor mehr als 30 Jahren erstmals in Berlin zu erleben war. Er verbündete sich später mit dem kanadischen Cirque du Soleil und konnte schließlich vor 20 Jahren seine „Snowshow“ auf die Beine stellen, sein Lebenswerk, sein Meisterstück. Millionen Menschen in aller Welt hat er damit glücklich gemacht.
Polunin beherrscht die große Kunst der kleinen Gesten. Er lässt Planeten schweben, erweckt einen Mantel auf einem Kleiderständer auf zauberhafte Weise zum Leben, tanzt, von Pfeilen durchbohrt, den sterbenden Clown, zelebriert auch – wie in den 80er-Jahren in der Ufa-Fabrik – seine Glanznummer „Assessai“ an zwei plüschigen Telefonen. Beim großen Finale entfacht er einen ungeheuer mächtigen Schneesturm aus tonnenweise Papierschnipseln, die orkanartig und mit Turbinendruck durch den gleißend hellen Saal fegen und den kleinen Menschen Slava unter sich begraben.
Mehr als eine halbe Stunde lang will der Applaus nicht abebben, während gigantische Ballons von zwei und mehr Metern Durchmesser durch den Saal schweben. Die Clowns stehen auf der Bühne und schauen dem Publikum zu. Slava Polunin sitzt an der Bühnenrampe. Ohne rote Clownsnase. Und lächelt.
„Slava’s Snowshow“ ist noch bis zum 26. Januar 2014 im Berliner Admiralspalast zu erleben. Schöner kann man das neue Jahr nicht beginnen. Alter spielt keine Rolle. Der Besuch lohnt.
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